Spaziergang mit Habicht, Teil 2: Ich hab einen Vogel

Nach einem verregneten Samstag in Vaduz schien am Sonntag in Malbun wieder die Sonne. Nach einem kräftigen Frühstück ging es endlich auf den lang ersehnten Spaziergang mit dem Habicht. Vom Falkner gab es eine kurze Instruktion, dann bekamen meine Mutter und ich eine Tasche mit Fleisch (für die Habichte) umgehängt, einen Handschuh an die linke Hand verpasst und schon hatten wir einen Vogel. – Auf der Hand meine ich. Mit den Habichten gingen wir vorsichtig an den Dorfrand. Wahrscheinlich hätten wir zügiger gehen dürfen, immerhin wurde die Falknerei traditionell zu Pferd betrieben. Aber als Laie, das erste Mal mit einem solchen Tier auf der Hand, ist man wohl übervorsichtig.
Am Ausgang von Malbun angekommen nahm uns der Falkner die Habichte wieder ab. Wir mussten uns etwa 20 Meter auseinander aufstellen. Der Falkner entfernte die Haube vom Kopf des Habichtmännchens (Aus der Falknerei kommt übrigens der Ausdruck „Unter die Haube kommen.“), wir legten ein kleines Stück Fleisch auf die behandschuhte Hand, streckten sie in Kopfhöhe aus und schon kam der Habicht herangeflogen, landete auf dem Handschuh und verschlang das Fleisch. Zwei, drei Mal liessen wir den Vogel hin und her fliegen, um ein Gefühl dafür zu bekommen. Dann spazierten wir los, ich vorne weg, meine Mutter mit dem Falkner hinterher. Der Habicht folgte uns im „freien Geleit“, das heisst, er war in keiner Weise an uns gebunden und folgte uns nur weil er das wollte. Und natürlich wollte er das Fleisch auf unserer Hand. Während das Habichtmännchen zwischen uns hin und her flog, führte der Falkner das Weibchen unter der Haube auf seiner Faust mit. Es ist erstaunlich wie beruhigend die Haube auf den Greifvogel wirkte. Obwohl sie die Bewegung spürte und den anderen Habicht fliegen hörte blieb sie ruhig sitzen.
Als sich der Habicht den Kropf vollgeschlagen hatte, legten wir eine Pause ein. Während der Falkner den Vogel die Haube überstreifte erfuhren wir noch mehr über die Falknerei und ihre Geschichte. Etwa dass Friedrich II. das Castel del Monte nur für die Falknerei erbaute. Und das dort ein Wein angebaut wird, der zu seinen Ehren „Il Falcone“ heisst. Schmeckt übrigens ausgezeichnet.
Auf dem Rückweg durfte dann das Habichtweibchen sich bei uns den Kropf füllen. Es war beeindruckend, wenn sie nur wenige Zentimeter über dem Boden – die Flügel am Körper  angelegt – heranschoss, wenige Meter vor mir die Schwingen ausbreitete, dabei an Höhe gewann und abbremste, um sanft wie eine Feder auf der Hand zu landen. Da die Habichtdame das Spiel kannte, lies sie sich von meinem Handschuh auf den Boden fallen, spazierte etwas das Bord hoch und wartete dann, bis meine Mutter nahe genug herangekommen war, um sie mit wenigen Flügelschlägen zu erreichen. Mag der Kolkrabe laut Wissenschaft der klügste Vogel sein, Habichte sind auch nicht auf den Kopf gefallen!

Viel zu schnell waren wir wieder zurück im Dorf und mussten die Habichte zurückgeben. Wir hatten das Gefühl nur kurz weg gewesen zu sein und erst der Blick auf die Uhr bewies, dass wir tatsächlich eineinhalb Stunden unterwegs gewesen waren. Für diese neunzig Minuten durch die halbe Schweiz zu fahren, das war es wert gewesen.